INTERPRETATION UND ARGUMENTATION 1
Aus der Textfassung heraus wird nicht ersichtlich, warum die bisherige Praxis, für wichtige Wahlämter ein Mindestquorum von über 50 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen (so die landläufige Interpretation von "absoluter" Mehrheit) anzufordern, plötzlich aufgegeben werden soll.
Denn nach landläufiger Interpretation wird "einfache" Mehrheit als "einfach nur eine Stimme mehr als der*die nächstplatzierte Kandidat*in" interpretiert. Dies für zentrale Wahlen vorzuschlagen, erscheint fahrlässig.
Bislang musste ein*e Kandidat*in mindestens eine Mehrheit von 50 % und einer Stimme für sich überzeugen (qualifizierte Mehrheit), mit dem neuen Vorschlag reicht schon 1 Stimme mehr als der*die nächste Bewerber*in (einfache Mehrheit) – im Extremfall nun plötzlich deutlich sehr viel weniger Stimmen als bislang erforderlich waren. Und im Falle von Einzelbewerber*innen könnte wenige Ja-Stimmen bei vielen Enthaltungen weit unterhalb der 50 % Marke für eine Wahl ausreichen. Im Extremfall wäre sogar 1 Ja-Stimme bei 136 Enthaltungen eine einfache Mehrheit.
Doch die bisherige hohe Hürde – gerade auf dem LPT – hat einen wichtigen Grund: Wir vergeben dort wichtige Wahlämter für unsere Führungspositionen im LaVo oder der nächsten Landtagsfraktion. Es macht entscheidenden Sinn, dass die Bewerber*innen für diese Ämter bereits parteiintern zeigen, dass sie sich durchsetzen und Mehrheiten hinter sich vereinen können. Diese wichtige Qualitätshürde sollten wir nicht ohne Grund schleifen. Denn, mag sie auch auch noch so anstrengend für Bewerber*innen sein, sie sorgt auch für Stabilität und Klarheit!
INTERPRETATION UND ARGUMENTATION 2
Nach mündlichen Aussagen Landesvorstandes, ist die Interpretation 1 keinesfalls intendiert, vielmehr handele es sich nur um eine juristisch exaktere Formulierung der gleichen Quoren wie immer. Diesem Argument zufolge sei die landläufige Interpretation von "absoluter" und "einfacher" Mehrheit schlichtweg falsch, daher seien die nach eigener Darstellung "fachlich korrekteren" Begriffe zu verwenden.
Nach dieser Argumentation wird also nicht weniger als eine umfassende Um-Interpretation ziemlich gebräuchlicher Konzepte und Definitionen angestrebt.
Dem sei hier mit großer Entschiedenheit widersprochen und als Beleg seien mal ein paar Fundstellen FÜR die landläufige Interpretation von absoluter und einfacher (auch oft "relative") Mehrheit angeführt:
1. Satzung unseres bündnisgrünen Bundesverbandes:
https://cms.gruene.de/uploads/documents/20220327_Satzung-Bundesverband.pdf
"§ 17 BUNDESVORSTAND
(6) Die Vorsitzenden und der/die politische Geschäftsführer*in werden mit der Wahl in den Bundesvorstand zugleich zu Mitgliedern des Parteirates gewählt. Die Mitglieder des Bundesvorstandes können von der Bundesversammlung insgesamt oder einzeln mit absoluter Mehrheit abgewählt werden, jedoch nicht aufgrund eines Dringlichkeitsantrags."
2. Landeswahlordnung - Anlage 11
https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/jlr-WahlOST2015V2Anlage11
"Wahlverfahren (z.B. einfache, absolute Mehrheit) angeben."
3. Bundeswahlleiter
https://www.bundeswahlleiter.de/service/glossar/m/mehrheiten.html
"Einfache Mehrheit: Es genügt die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, Enthaltungen werden nicht mitgezählt.
Absolute Mehrheit: Das Abstimmungsergebnis muss um mindestens eine Stimme über der Hälfte aller Stimmberechtigten liegen."
4. Das Rechtslexikon. Begriffe, Grundlagen, Zusammenhänge. Lennart Alexy / Andreas Fisahn / Susanne Hähnchen / Tobias Mushoff / Uwe Trepte. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., 2019.
--> zitiert Lizenzausgabe: Bundeszentrale für politische Bildung
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/recht-a-z/323725/mehrheit-absolute-einfache-und-relative/
"Die absolute Mehrheit besteht [...] aus 50 % plus einer der möglichen Stimmen [...]
Einfache Mehrheit meint dagegen, dass mehr Ja- als Neinstimmen abgegeben werden."
5.
Stichwort: Wahlen. Wähler — Parteien — Wahlverfahren. Wichard Woyke. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2013.
--> zitiert nach: https://www.google.de/books/edition/Stichwort_Wahlen/Hu6gBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=0
"Bei der absoluten Mehrheitswahl gilt der Kandidat als gewählt, der mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen im Wahlkreis auf sich vereinigt."
SCHLUSSFOLGERUNG
Wir benötigen eine auch für juristische Laien handhabbare und lesbare Satzung. Die versuchte Neu-Definition durch den LaVo sorgt mindestens für Verwirrung, wenn nicht sogar kaum noch handlungsfähige Parteittage. Wir sind mit den bisherigen Begriffsdefinitionen von einfacher und absoluter Mehrheit gut gefahren, daher sollten wir genau diesen Begriffsdefinitionen und den Gebrauch der landläufigen Bedeutung beibehalten.
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