Veranstaltung: | 47. Landesparteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Themenschwerpunkt Handwerk und Mittelstand |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteitag |
Beschlossen am: | 26.11.2022 |
Eingereicht: | 28.11.2022, 09:28 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Tatkräftig, innovativ, zukunftsfest – Das Handwerk in Sachsen-Anhalt stärken!
Beschlusstext
Handwerker*innen sind ein Stützpfeiler der sachsen-anhaltischen Wirtschaft. Über
15.000 Handwerksunternehmen mit über 130.000 tätigen Menschen sind die Grundlage
für regionale Wirtschaftskreisläufe, Ausbildung, Beschäftigung und Wertschöpfung
vor Ort. Sie stehen mit Traditions- und Qualitätsarbeit seit vielen Jahrzehnten
und länger für frisches Brot aus der Backstube, stabile Türen aus der Tischlerei
und sichere, saubere Kamine dank fachkundiger Schornsteinfeger*innen.
Handwerker*innen im Jahr 2022 stehen aber auch für moderne PV-Anlagen auf
Dachflächen, W-LAN in Schulen und verlässliche Gleisanlagen. Das Handwerk ist
heute so vielfältig wie noch nie, aber es steht vor vielen Herausforderungen und
unter großem Druck. Wir Bündnisgrüne fühlen uns Handwerk und Mittelstand in
Sachsen-Anhalt verbunden und wollen gemeinsam sicherstellen, dass das Handwerk
gestützt wird und ein attraktiver Beruf und Ausbildungsberuf bleibt. Handwerk
ist nachhaltig, aus der Region und für die Region. Auch hier wird in
Generationen gedacht und lokale Wirtschaftskreisläufe spielen eine besondere
Rolle. Alle drei Kernpunkte sind auch grüne Herzensanliegen und zeigen unsere
inhaltliche Verbundenheit. Darüber hinaus ist das Handwerk wichtiger Partner zur
praktischen Umsetzung von Energie- und Wärmewende für Unabhängigkeit und
Klimaschutz.
Dem Fachkräftemangel begegnen
Wir kämpfen für die Anerkennung handwerklicher Berufe und beruflicher Bildung in
Sachsen-Anhalt. Dafür setzen wir schon in der Schule bei der Berufsorientierung
an, wo die Chancen und Vorteile von Handwerksberufen eine größere Aufmerksamkeit
finden müssen. Wir wollen, dass neben der Hochschullaufbahn die berufliche
Bildung gleichberechtigt ihren Platz findet, um allen Menschen über das Erkennen
der eigenen Talente und Interessen den Weg in den richtigen Beruf zu ebnen. Eine
Ausweitung von Berufspraktika innerhalb der Schullaufbahn junger Menschen hat
für uns große Priorität, mindestens zwei Berufspraktika ab Klasse 7 sollen die
Regel werden. Die Berufsorientierung in den Schulen soll durch eine engere
Kooperation mit Wirtschaft und Handwerkskammern verbessert werden. Das
Pilotprojekt „Bezahltes Ferienpraktikum für Schüler*innen“ ist ein Erfolg und
muss entsprechend fortgesetzt werden. Mit einer Kampagne Grüner Berufe im
Handwerk kann herausgestrichen werden, dass hier Klimaschutz täglich praktisch
gemacht wird. Die Attraktivität und Bedeutung des Handwerks kann damit für junge
Menschen deutlich gemacht werden, um sie für diese Gewerke zu gewinnen. Das Land
muss gemeinsam mit den Kammern dafür eine Berufskampagne für Handwerk und
Klimaschutz zimmern.
Wir werden den massiven Fachkräftemangel nur erfolgreich angehen können, wenn
alle Menschen, die es wollen, einen attraktiven Weg in die Ausbildung finden.
Individuelle Benachteiligung wollen wir durch eine Verbesserung im Übergang
Schule-Beruf und durch Berufseinstiegsbegleitung ausgleichen. Gemeinsam mit dem
organisierten Handwerk muss das Land an einer Förderung junger Menschen mit
Migrationsgeschichte arbeiten, um diese für einen Handwerksberuf zu gewinnen.
Auch geflüchtete Menschen müssen eine Ausbildung beginnen dürfen und eine
langfristige Bleibeperspektive erhalten. Die neuen Möglichkeiten des
Chancenaufenthaltsrechts sind zum Wohl der Menschen und des Handwerks zu nutzen
und vom Land und Ausländerbehörden maximal auszureizen. Abschiebungen in der
Ausbildung verurteilen wir als zutiefst inhuman und wirtschaftsfeindlich.
Besonders Frauen braucht das Handwerk! Wir wollen daher am Abbau von
geschlechterspezifischen Stereotypen im Handwerk arbeiten, Mentorinnenprogramme
fördern und die Bedingungen für Frauen in Handwerksberufen verbessern,
beispielsweise beim Mutterschutz für selbstständige Handwerker*innen.
In Qualität und Attraktivität der Ausbildung
investieren
Wer Menschen in Ausbildung bringen will, muss gleichzeitig aber auch in die
Qualität und Attraktivität von Ausbildungsgängen investieren. Dazu gehört eine
faire Ausbildungsvergütung, wie auch leistbare Fahrtwege, vor allem zwischen
Wohnort, Berufsschule und Ausbildungsbetrieb.
Eine faire Ausbildungsvergütung heißt für uns, dass diese die
Mindestausbildungsvergütung nicht unterschreitet und tariflich gebunden ist.
Finanzielle Sicherheit und Unabhängigkeit vom Elternhaus für Auszubildende ist
eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Zudem ist dies für junge Menschen ein
entscheidender und oft zwingender Faktor in der Wahl des Lebensweges und deshalb
so wichtig, um die Ausbildung attraktiver zu machen. Daher setzen wir uns auch
für eine grundsätzliche Schulgeldfreiheit ein. Stattdessen brauchen
Auszubildende in schulischen Ausbildungen Anspruch auf BAföG.
Berufsbildende Schulen sind ein wesentlicher Bestandteil einer zukunftsfähigen
Aus- und Weiterbildung. Sie werden gerade vor dem Hintergrund gestiegener
Weiterbildungsanforderungen im Rahmen des Strukturwandels an Bedeutung gewinnen.
Wir wollen daher mit den Gewerkschaften, Arbeitgeber*innen, Kammern und den
Landkreisen einen Berufsschulpakt schließen und dafür Sorge tragen, dass die
Standorte der Berufsbildenden Schulen bedarfsgerecht weiterentwickelt werden.
Mit Ausbildungsverbünden wollen wir die Attraktivität von Handwerksbetrieben
steigern, damit sie ihre Ausbildungsplätze besetzen können.
Junge Menschen brauchen Auswahlmöglichkeiten und Angebote, die ihren Neigungen
entsprechen. Je nach Wohnort fehlt es allerdings oft genau daran - insbesondere,
aber nicht nur, in den vielen ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts. Wir setzen
uns auch deshalb für eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie ein. Junge
Menschen sollen ein gesetzlich verankertes Recht auf einen Ausbildungsplatz
bekommen. Hürden, wie z.B. die Feststellung der sog. Ausbildungsreife müssen
abgeschafft werden. Die Umlagefinanzierung hilft bei der tatsächlichen Umsetzung
dieses Anspruchs. Alle Betriebe zahlen hierbei in einen Zukunftsfonds ein. Die
Gelder daraus werden u.a. an ausbildende Betriebe ausgezahlt und schaffen so
einen Anreiz, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Ein weiterer Teil der Gelder
wird genutzt, um das Netz und die Qualität überbetrieblicher Ausbildungszentren
zu verbessern. Außerdem werden die Mittel aus dem Fonds genutzt, um
außerbetriebliche Ausbildungen dort zu ermöglichen, wo trotz aller Bemühungen
keine betrieblichen Ausbildungsplätze geschaffen werden kann.
Zur Attraktivität der Ausbildung gehört auch der Pendelverkehr zwischen Wohnort,
Berufsschule und Ausbildungsbetrieb. Dafür muss das Auszubildendenticket weiter
qualifiziert werden und endlich kostenfrei werden. Darüber hinaus braucht es
eine bessere verkehrliche Anbindung von Ausbildungsstandorten, die Reaktivierung
weiterer Strecken und Haltepunkte insbesondere in den ländlichen Räumen.
Auszubildende und Betriebe profitieren von Auslandsaufenthalten, auch dies
stärkt die Attraktivität der Ausbildung. Die Landesregierung muss die
bestehenden Informationsangebote sichtbarer machen und darauf hinwirken Hürden
für die Beteiligten abzubauen.
Mittelstand und Handwerk stärken
Durch ihre dezentrale Struktur sind Mittelstand und Handwerk in ihrer Vielfalt
eine starke Basis für unsere regionalen Wirtschaftskreisläufe, Ausbildung,
Beschäftigung und Wertschöpfung vor Ort. Zu ihrer Unterstützung muss das
Mittelstandsfördergesetz modernisiert werden.
Wir wollen den Mittelstand und das Handwerk bei dem Prozess der Digitalisierung
und dem sozial-ökologischen Wandel unterstützen. Die neuen
Digitalisierungsprogramme müssen weiter ausgebaut werden, um die fortschreitende
Digitalisierung der Wirtschaft zu fördern, damit die Unternehmen davon
profitieren können. Dafür sind adäquate Förderprogramme notwendig.
Nachfolgen sichern – Betriebe erhalten
Wir unterstützen Fördermaßnahmen, um Nachfolger*innen in der Geschäftsführung im
Handwerk und im Mittelstand zu sichern und unterstützen Gründungen neuer
Betriebe. Analog zur Start-Up-Förderung werden wir ein Coachingprogramm für
Nachfolger*innen schaffen und den Zugang zu unbürokratischen Zwischen- und
Überbrückungsdarlehen gewähren, sofern ein nachprüfbares
Wirtschaftlichkeitskonzept vorliegt. Analog dazu wollen wir Neugründungen
weiterhin mit einer Gründungsprämie und einem zusätzlich vereinfachten Zugang zu
Darlehen unter die Arme greifen. Das Land soll dies mit Vernetzungs- und
Austauschformaten für Betriebe, Gründer*innen und potentielle Nachfolger*innen
flankieren.
Die Energiewende braucht ein starkes Handwerk
Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern hat uns in eine brisante
Wirtschaftslage gebracht und setzt auch Handwerk und Mittelstand unter Druck.
Das 200 Milliarden Euro starke Dritte Entlastungspaket kommt auch dem Handwerk
und Mittelstand zugute, kurz- und mittelfristig braucht es aber weitere
Sicherungsmaßnahmen. Wir brauchen ein starkes Handwerk auch in Zukunft, um die
Energiewende voranzubringen. Es sind Handwerker*innen, die Wärmepumpen einbauen
und warten, PV-Anlagen auf Feld und Dach bringen und Windanlagen bauen und in
Betrieb nehmen sowie für Netzausbau und -stabilität sorgen. Wir wollen in diesem
Feld den Ausbildungskorridor verbreitern, eine Ausbildungsprämie einführen und
damit der massiv anwachsenden Auftragslage in den kommenden Jahren Herr werden.
Denn nur so gelingt die Energiewende.
Die Krise(n) gemeinsam bewältigen
Das Handwerk ist mit seiner Struktur aus klein- und mittelständischen
Unternehmen stark von der Energiepreiskrise, in Folge des russischen
Angriffskriegs auf die Ukraine, wie auch von gestörten Lieferketten und
steigenden Materialpreisen getroffen. Mit der Bewältigung wollen wir das
Handwerk nicht allein lassen.
Dort, wo sehr rasch gestiegene Energiepreise, gestörte Lieferketten und eine
hohe Inflation sonst gesunde wirtschaftliche Strukturen in Bedrängnis bringen,
muss die öffentliche Hand mit Hilfen bereitstehen.
Zudem kommen die ernsten Auswirkungen der bereits längerfristig bestehenden
Krisen, wie der Klimakrise, aber auch des demographischen Wandels, des
Fachkräftemangels, des Strukturwandels der ländlichen Räume sowie den
Folgewirkungen der Pandemie auch beim Handwerk mit voller Wucht an. Auch bei den
unumgänglichen Anpassungen und Reaktionen darauf wollen wir das Handwerk nicht
allein lassen.
Um die wirtschaftlichen Härten abzufedern, sind aufeinander abgestimmte
Maßnahmen von Bund und Land nötig. Die Bundesregierung hat für die akuten
Folgen, die insbesondere durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine
verursacht wurden, Entlastungen und energiepreisdämpfende Maßnahmen auf den Weg
gebracht, an denen auch die Länder beteiligt sind. Diese Entlastungen können die
Folgen der Krisen nicht beseitigen, sollen aber die Last mildern.
In Sachsen-Anhalt müssen wir in der Lage sein, landesspezifische Bedarfe zu
decken und mögliche Lücken der Bundesmaßnahmen für das Handwerk zu schließen.
Dafür hat unsere bündnisgrüne Landtagsfraktion bereits einen Plenarantrag für
einen Landes-Härtefallfonds zur Abwehr der Krise eingebracht. Für den Fonds
haben wir einen Umfang von bis zu 500 Millionen Euro vorgesehen, der sich
vorrangig aus nicht abgeflossenen und umzuwidmenden Mitteln des Corona-
Sondervermögens finanzieren soll.
Die CDU-SPD-FDP-Koalition hat sich dieser Aufgabe bisher verweigert, wird aber
an landeseigenen Maßnahmen auch für das Handwerk in unserem Land nicht
vorbeikommen.
Zur Bewältigung diverser Herausforderungen der aktuellen Krise(n) brauchen wir
jetzt zeitnah einen solchen Härtefallfonds, um auch im Handwerk mittels Krediten
und bedarfsweise auch Zuschüssen sich ergebende Notsituationen schnell
ausgleichen bzw. abmildern zu können. Dabei sollte der Fonds nachrangig zu
anderen Hilfen und Bundesprogrammen greifen und, soweit möglich, so ausgerichtet
werden, dass die Betroffenen zukünftig besser gegen die Krisen gewappnet sind
und die notwendigen Transformationsprozesse zugleich vorangetrieben werden
können. Unternehmen, deren Geschäftsmodell solide ist, aber durch die
Energiepreissteigerungen in Frage gestellt wird, müssen unterstützt werden. Bei
der Umsetzung möglicher Hilfsmaßnahmen sollten wir auch auf die bestehende
Struktur der Betriebsberatungen der Kammern sowie deren Kompetenzen
zurückgreifen. Damit Handwerk auch morgen noch goldenen Boden hat, dürfen wir es
heute in Notsituationen nicht allein lassen.